25. Januar 2014

Ich weine



Ich weine

Ich weine über diesen Staat. Über die Macht, die Einzelne ausüben können, völlig im Rahmen des Gesetzes.
Heute wollten Nazis gegen ein Erstaufnahmeheim in Chemnitz demonstrieren. Das haben sie geschafft.
Heute wollten auch andere Menschen gegen diese Nazihetzparolen demonstrieren. Das haben sie nicht geschafft.
Heute wollte die Polizei anscheinend Gründe dafür liefern, dass sie gehasst wird. Das hat sie geschafft.
Zwei Wochen nach der doch sehr fragwürdigen Einrichtung einer Gefahrenzone in Hamburg hat die chemnitzer Polizei bewiesen, dass sie genau so rigide und restriktive Methoden anwenden kann und will.

Wir waren rund hundert Menschen, die in Eiseskälte auf die Nazis warteten. Es gab Tee, Musik lief, die Menschen tanzten, um die Kälte abzuschütteln. Ich hatte Partyhüte, -tröten, Luftschlangen und Konfetti besorgt und an die Menschen verteilt, um eine fröhlich gestimmt und nicht von Hass auf Andere geprägte Grundstimmung zu verbreiten. Dieser Plan schien aufzugehen, zumindest hatte ich noch nie eine so ruhige, besonnene und friedliche Anti-Nazi-Demomenge erlebt. Trotzdem wirkten wir auf die Polizei außerordentlich Gewaltbereit, was sie dazu nötigte, uns nach und nach immer wieder ein paar Meter von der Straße zu schieben. Völlig unvermittelt war von einem Einsatzfahrzeug der erste Räumungsaufruf zu hören, obwohl es nichts zu räumen gab: Wir standen am genehmigten Versammlungsplatz, die Straße war frei. Nach dem zweiten und dritten Aufruf wurde plötzlich begonnen, uns auf einen Parkplatz weg von der Straße und weg von unserem Lauti zu schieben. Der Versammlungsleiter konnte gerade noch rechtzeitig über den Lautsprecher die Polizei um Deeskalation und Gesprächen bitten. Kurze Zeit war es wieder ruhig, dann begannen die Polizeibeamten erneut, uns weg zu schieben und -schubsen. Die Begründung: der Versammlungsort sei wegen Sicherheitsbedenken verlegt worden. Trotz all dieser vorgehenden Provokationen und auch der jetzigen völlig übertriebenen Handlungen blieb die Demo neben allen berechtigten Protesten noch sehr ruhig und vor allem friedlich. Irgendwann hatte die Polizei die Demo vom Lauti weggedrängt und fing an die Boxen ab zu reißen. Und als wäre das alles noch nicht genug der Provokation, stürmte plötzlich noch ein Trupp schwer gepanzerter Polizisten mitten in die Demo. Und selbst da eskalierte die Situation nicht völlig, da die Demo weiterhin vollkommen friedlich reagierte. „Wir sind friedlich – was seid ihr?“ war der dominierende Ruf. Und dann, als wir eingekesselt und die Polizei eine Mauer aus Sixpacks vor uns aufgebaut hatten, kamen schließlich die Nazis vorbeimarschiert.

Noch nie habe ich so traurig Konfetti geworfen. Die Polizei hatte Wut provoziert, hatte uns mit Gewalt weg gedrängt, um den Nazis noch mehr Platz zu geben als sie sowieso schon hatten.
Zwischen den Sixpacks konnte ich einige hämisch grinsende Nazis erspähen und sie konnten zurecht hämisch grinsen. Rund 100 frei laufende, lautstarke Nazis gegen rund 100 eingekesselte Gegendemonstranten ohne Lautsprecher. Natürlich: dass nur 100 Menschen in Chemnitz bereit waren, sich heute gegen die Nazis zu positionieren, ist schwach. Aber dass die Polizei so offensichtlich den Konflikt sucht und so repressiv handelt ist noch viel trauriger.

Wir sind friedlich – was seid ihr?
Wir sind gegen Nazis – was seid ihr?

Ich weine um meine Freiheit.



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